1983 in Deutschland: Als wir kurz vor dem III. Weltkrieg standen | Die Story | Kontrovers | BR24

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Published 2023-02-15
Das Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion erreicht 1983 einen Höhepunkt: Die Welt steuert auf einen Atomkrieg zu, bei dem nicht nur das geteilte Deutschland weitgehend vernichtet würde. Wie konnte es damals soweit kommen, und was hat einen III. Weltkrieg verhindert? Kontrovers auf historischer Spurensuche.

Die Welt driftet 1983 geradewegs auf einen Atomkrieg zu. Ronald Reagan, damals US-Präsident, will die USA zu alter Stärke zurückführen und den Ostblock „totrüsten“. Er lässt prüfen, ob es für die USA möglich wäre, einen Atomkrieg zu gewinnen. Dabei helfen sollen neue Pershing-II-Raketen, deren Sprengkraft gewaltig ist. In Moskau wiederum fühlt man sich bedroht. Die Sowjets bewaffnen ihre Jagdbomber mit Atombomben und machen sie gefechtsbereit. Generalsekretär Juri Andropow ist überzeugt, dass die USA einen nuklearen Überraschungsangriff planen.

Ehemaliger Top-Spion liefert Moskau geheime Dokumente
Rainer Rupp, damals Top-Spion des Auslandsgeheimdienstes der DDR, der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), ist damals so nah an der Eskalation dran wie nur Wenige. 1983 war er Agent im „Situation Center“, dem Lagezentrum im Nato-Hauptquartier in Brüssel. „Ich bekam alles mit“, sagt er. Hunderte von sowjetischen Agenten sind zu diesem Zeitpunkt in West-Europa und den USA im Einsatz und schicken Informationen an ihre Führungsoffiziere. Es ist die bis dahin größte Geheimdienst-Aktion des Ostblocks. Rupp fotografiert heimlich mit einer Mini-Kamera tausende von Aufmarschplänen, Aufstellungen und Dokumenten. Er liefert dabei auch das geheime Drehbuch für die Wintex-Cimex-Übung nach Ost-Berlin und Moskau. Und dort ist man alarmiert.

In dieser Situation wird Helmut Kohl am 6. März 1983 zum zweiten Mal Bundeskanzler und ist entschlossen, Pershing-II-Raketen in Deutschland zu stationieren. Horst Teltschik war damals Kohls enger Mitarbeiter. Zwei Tage nach der Wiederwahl von Helmut Kohl bezeichnet Ronald Reagan die Sowjetunion in einer Rede als „evil empire“, das Reich des Bösen. Kurz darauf kündigt er sein SDI-Programm an. Damit sollen Raketen der Sowjets im Weltraum abgeschossen werden, bevor sie Ziele in den USA erreichen. Generalsekretär Juri Andropow glaubt, dass man einem Angriff der Nato bald nichts mehr entgegenzusetzen habe.

Generalsekretär Andropow: Jedes Flugzeug wird abgeschossen
Währenddessen spitzt sich der Konflikt zwischen den Atommächten weiter zu. Die Sowjets überqueren mit ihren Flugzeugen Gebiete der Nato. Die Amerikaner wiederum fliegen Scheinangriffe auf sowjetische Stützpunkte. In Moskau ordnet Andropow an, dass jedes Flugzeug, das sowjetischen Luftraum verletzt, abgeschossen werden soll.

Am 1. September schießen sowjetische Abfangjäger eine koreanische Passagiermaschine mit 269 Menschen an Bord ab. Sie war aus Versehen in den sowjetischen Luftraum eingedrungen. Die Welt ist erschüttert. „Es lief zwischen den beiden Weltmächten nichts mehr. Es gab keine Kontakte, keine Gespräche“, erinnert sich Horst Teltschik.

Fehlalarm löst fast einen Atomkrieg aus
Am 26. September 1983 schlägt die sowjetische Satellitenüberwachung Alarm. Das System meldet fünf Atom-Raketen aus den USA, die auf die UDSSR zufliegen. Eigentlich müsste der zuständige Offizier jetzt den Gegenschlag einleiten, doch er wartet ab. Minutenlang steht die Welt vor einem Atomkrieg – bis sich herausstellt, dass es ein Fehlalarm war.

Etwa einen Monat später werden bei einem Anschlag auf einen US-Stützpunkt in Beirut mehr als 200 US-Soldaten getötet. Die USA versetzen ihre Truppen in Alarmbereitschaft und besetzen die Insel Grenada. Ronald Reagan begründet den Einsatz mit den Worten, die Insel sei ein sowjetischer Militär-Stützpunkt.

Im November 1983 beginnt routinemäßig das Nato-Manöver Able Archer. Dabei wird ein atomarer Krieg unter realistischen Bedingungen geübt. Generalsekretär Andropow hat jetzt keine Zweifel mehr, dass ein Atomangriff der USA bevorsteht. Die sowjetischen Truppen in Ost-Deutschland und Polen machen ihre Atomwaffen bereit.

Die US-Militärs ahnen davon nichts. Erst nach dem Mauerfall erfahren sie, dass mehr als 100 sowjetische Flugzeuge mit Atomwaffen bestückt und gefechtsbereit gemacht worden waren. Ein Zufall oder Fehlalarm hätte dazu geführt, dass die Piloten gestartet und ihre Atombomben ans Ziel gebracht hätten. Doch so weit kommt es nicht. Als das Able-Archer-Manöver ohne Zwischenfälle zu Ende geht, fährt auch die sowjetische Militärführung die Gefechtsbereitschaft wieder runter.

Autor: Christian Stücken
Aus der Sendung vom 15.2.2023

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All Comments (21)
  • @makari8819
    Der Bericht zeigt sehr gut, was mich persönlich fassungslos und wütend macht. Einige wenige entscheiden über Millionen , wenn nicht Milliarden Menschenleben, welche eigentlich einfach nur eine gute Zeit haben wollen. Frei von jeglicher Logik…
  • @biker0806
    Damals war ich 20 und bekam Gänsehaut, heute bin ich 60 und das Gefühl ist wieder da.
  • Und der wichtigste Name fehlt hier. Der Name vom Retter der Welt: Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow
  • Unsere Welt hat sich nicht verändert das Theaterstück ist das selbe nur die Kulisse hat sich geändert. Ich wünsche euch allen liebe und Erkenntnis
  • @ThWKrapf
    Hallo, Sprengschächte: Die Darstellung ist völlig irreführend. Sprengschächte dieser Art wurden und werden definfitiv nicht für "Rucksackatombomben" (ADM) gebaut, sondern für sogenannte "Käseladungen", damals aus TNT. In der Regel drei Schächte in Reihe, so dass eine Strecke von min. 22 m (maximale Deckungsweite einer Panzerschnellbrücke sowjetischer Bauart) der Straße pulverisiert werden und damit für Fahrzeuge jeder Art unpassierbar sind. Meist platziert an schwer passierbaren Engstellen (Berghänge, Tal-Engen, Fahrdämmen) . Die "Froschklappen" sind für die Zündung (konventionell + elektrisch). 2 davon, um eine redundante Zündauslegung zu ermöglichen, falls eine z.B. durch Feindeinwirkung zerstört wird. Für die Zündung einer Atomwaffe werden diese nicht benötigt und wären auch nicht sinnvoll. Die Zündmannschaft müsste sich ja in direkter Nähe (max 100m, länger ist das Zündkabel i.d.R. nicht) befinden. Selbst wenn man nach einer konventionellen Zündung, mit Verzögerung durch Anzündschnur, sofort in ein Fahrzeug stiege und losführe, würde man es wahrscheinlich nicht aus dem Gefährdungsbereich schaffen. ADMs legte man einfach auf die Erde und aktivierte damals den Timer, in der Hoffnung, dass "auf der Flucht", nichts dazwischen kommt. Funkfernsteuerungen wurden nicht verwendet, weil die Gefahr einer vorzeitigen, unbeabsichtigten Auslösung zu groß war (EMP, Blitzschlag etc). Eine Verdämmung, wie im Sprengschacht ist dafür nicht notwendig. Daher ist die Darstellung inhaltlich falsch, schlecht recherchiert und reißerisch ums Thema gestrickt. M.a.W. BS. Alle tot: Ebenfalls eine gezielte Desinformation. Rucksackbomben kann man einfach auf der Erde platzieren, tarnen und zur Detonation bringen. Richtig ist: Dadurch wird die Umgebung langfristig verstrahlt und radioaktiver fallout wird in Richtung des Windzuges niedergehen. Die Wirkung solcher ADMs ist örtlich aber sehr begrenzt , weil jedes natürliche und künstliche Hindernis die Explosionswirkung der Hitze, Druck- und Sogwelle verringert. D.h. eine simple Steinmauer oder Felsformation schützt ggf. bereits, wenn man sich nicht direkt am ground zero befindet. Anders verhält es sich bei Atomwaffen, welche z.B. per (Raketen)Artillerie oder durch Luftfahrzeuge in die Zielregion gebracht werden. Diese sind oft mit Annäherungszündern ausgestattet, welche hohe Luftdetonationen verursachen. Damit ist die Gefahr der Verstrahlung zwar geringer, die Wirkung aber wesentlich verheerender, als bei einer Erddetonation, weil der Explosionsradius nur durch den natürlichen Luftwiderstand gebremst wird und sich dadurch quasi ungehindert in alle Richtungen ausbreiten kann. "Alle tot" ist bei den Rucksackbomben eher durch langfristige Verstrahlung, in einem sehr eng begrenzten Gebiet, als durch die Explosion selbst, wahrscheinlich. Der kann man sich durch Absetzbewegung entziehen. Richtig ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass man, wegen der geringeren Verstrahlung, in militärischen Kreisen, die zerstörerische Luftdetonation bevorzugt. Der Explosionsort einer Rucksackbombe kann für die nächsten 100 Jahre quasi nicht (ungeschützt) betreten werden. Der gz einer Luftdetonation kann nach wenigen Tagen mit ABC-Vollschutz wieder durchfahren und "freigekämpft" werden. Vermutlich würden die "Rucksackbomben" also erst dann eingesetzt, wenn Terrain als "für alle Zeiten" an den Feind verloren gilt. Sozusagen "verbrannte Erde"; "Wenn ich es zukünftig nie mehr nutzen kann, dann ...!". MfG Th. Krapf (Reserveoffizier der Pioniertruppe, aktiv 1982-1985)
  • @Satanel666
    Hauptsache, die Politiker hatten ihren Atombunker
  • fand das mit dem Fehlalarm krass und das der gewartet hat. Man stelle sich mal vor er hätte das getan, was er hätte tun müssen. Dann würde es viele von uns heute gar nicht geben.
  • Hallo und herzliche Grüße. Ich bin auch ein Kind der 80 er Jahre, diese Reportage ist so Zeit passend, ich habe eine Gänsehaut am ganzen Körper. Liebe Menschen, bin ich damit alleine das ich ängstlich bin um die Zukunft und vor dem was heutzutage alles möglich ist. Wenn ich überlegt was damals schon möglich gewesen ist. Liebste Grüße Leni
  • 1983 war ich 17... Umso wichtiger, dass diese Infos auch heute noch an die jungen Generationen gegeben werden
  • Ja, da war ich 11 Jahre alt, meine Oma hat in Tann gelebt nicht weit weg vom Fulda GAP und wir in Ffm. Da war ganz schön was los bei den Erwachsenen. Und 3 Jahre später kam Tschernobyl. Und keiner wusste zuerst was war passiert. Üble Zeit. Unfassbar das es trotz Hitler, Stalin, dem kalten Krieg, Vietnam usw. es wieder zu einem Krieg gekommen ist.
  • @senioriltis
    Und Heutzutage ist die Friedensbewegung von Damals total Kriegsgeil !
  • @909Junkies
    1983 war ich 3 Jahre alt! und zack, wir sind schon wieder da! Kranke welt in der wir leben!
  • @chrisw5817
    Einfach nur erschreckend........... damals wie heute!
  • @dawnshart1
    Wir haben immer noch nichts gelernt. Ein Atomkrieg kann NICHT gewonnen werden egal wie offt man es simuliert.⚛
  • @hl9125
    Die Menschheit richtet sich irgendwann selber.